LehrplanPLUS für für die Realschule

Erstellt von Martin Löwe |

Stellungnahme zum Entwurf des LehrplanPLUS für die Realschule vom 4. Dezember 2015

Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Püls,

aus Sicht des Bayerischen Elternverbands ist der LehrplanPLUS für die Realschulen ein Gewinn. Wir ergreifen gerne die Gelegenheit, aus Elternsicht hierzu Stellung zu nehmen.

Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus
1 Ziel und Anspruch der Realschule: „Die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Realschule stellt sich den pädagogischen und didaktischen Herausforderungen sowie den Bedürfnissen einer sich wandelnden Gesellschaft – Erziehungsberechtigte und Schule wirken dabei partnerschaftlich zusammen.“ Dieses Ziel begrüßen wir ausdrücklich! Wir vermissen jedoch hinsichtlich des partnerschaftlichen Zusammenwirkens von Erziehungsberechtigten und Schule jedwede Konkretisierung im LehrplanPLUS. Die einzig genannte Form unter 5.2 Schulklima: „Erziehungsfragen und probleme werden vertrauensvoll mit den Schülerinnen und Schülern und den Erziehungsberechtigten besprochen.“ zielt allein auf einen meist problembegründeten und somit zwanghaften Anlass des Zusammenwirkens. Förderlich für den Bildungserfolg der Schüler ist jedoch eine grundsätzliche und konstruktive Einbindung der Erziehungsberechtigten. Hierzu bedarf es gezielter Informationen der Schulen an die Eltern, um bei diesen Wissen um und Verständnis für die Ziele des Lehrplans zu vertiefen. Eltern können somit den Lernerfolg des Kindes passgenauer unterstützen. Auch sollten Eltern als kompetente Partner z. B. hinsichtlich der Aufgabe der Berufsorientierung angesehen werden und können hierbei in unterschiedlichsten Disziplinen und vielfältiger Weise in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden. Angesichts der bei den Realschulen eher schleppend angelaufenen Entwicklung der schulspezifischen Konzepte zur Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus sind Konkretisierungen im LehrplanPLUS im Sinne von Anregung und Ermutigung hilfreich und wünschenswert.

Inklusive Schule
1.2 Profil der Realschule: „Die Realschule hat den Anspruch, grundlegende personale, soziale und fachliche Kompetenzen eines jeden Schülers individuell zu fördern. Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf werden gezielt unterstützt, um ihnen ein möglichst hohes Maß an schulischer Eingliederung, gesellschaftlicher Teilhabe und selbständiger Lebensgestaltung zu ermöglichen. Darüber hinaus werden besonders begabte Schülerinnen und Schüler durch Beratung und ergänzende Bildungsangebote in ihrer Entwicklung begleitet.“
3.5 Unterrichtsgestaltung: „Bei der Unterrichtsgestaltung wird der heterogenen Zusammensetzung der Schülerschaft einer Klasse Rechnung getragen. Dabei fördern kooperative Lernformen und Möglichkeiten zur Mitgestaltung als zentrale Kennzeichen inklusiven Unterrichts nachhaltige individuelle Lernprozesse bei Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Lernausgangslagen.“
5.7 Inklusive Schule: „Spezielle Bedürfnisse realschulgeeigneter Schülerinnen und Schüler mit individuellem sonderpädagogischem Förderbedarf werden an der Realschule angemessen berücksichtigt. Unterrichtsformen und Schulleben sowie Lernen und Erziehung sind auf die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ausgerichtet.“
Wir begrüßen ausdrücklich die Betonung der Individualität der Schüler und die neuen Unterrichtsformen, die hierauf eingehen sollen. Sie sind Voraussetzung für den schulischen Erfolg jedes einzelnen Schülers und dieser ist grundlegend für die Freude am lebenslangen Lernen. Die hierfür notwendige inklusive Grundhaltung aller Beteiligten sowie adäquate Rahmenbedingungen sehen wir bisher jedoch zu wenig umgesetzt. Mit dem LehrplanPLUS sollten daher mehr und konkretere Hilfestellungen hinsichtlich des Verständnisses von Inklusion für Lehrende verbunden werden.
So sinnvoll individuelle Förderung ist, so sehr widerspricht die Einteilung in förderbedürftige Schüler und begabte Schüler dem Anliegen der Inklusion. Hier wird nicht inkludiert, sondern sortiert. Der LehrplanPLUS scheint uns unter diesem Aspekt überarbeitungsbedürftig.

Fachprofile – Sprachliche Bildung – Deutsch / andere Muttersprache
Die Pflege der deutschen Sprache in allen Unterrichtfächern ist wichtig. Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, dass mit dem zunehmenden Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund und/oder Lese- oder Rechtschreibschwächen/-störungen viele Schüler einen besonders sorgsamen Unterricht benötigen, der sie in ihren sprachlichen Fähigkeiten weiterbringt und nicht abhängt. Dieser Aspekt ist in vielen Fachprofilen berücksichtigt. Uns erschließt sich jedoch nicht, warum die Formulierungen hierzu einmal definitiv und andernorts optional ausgerichtet sind. Beispiele:
Fachprofile – Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen – Sprachliche Bildung: „Der Unterricht im Fach Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen unterstützt einen erfolgreichen Kompetenzerwerb für alle Schülerinnen und Schüler, unabhängig von deren Muttersprache. Dies gelingt vor allem durch einen sprachsensiblen und die Fachsprache entwickelnden Unterricht.“ – Definitiv und gut formuliert!
Fachprofile – Sozialkunde – Sprachliche Bildung: „Das Fach Sozialkunde ermöglicht zudem mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern, ganz unabhängig von ihrer Muttersprache, die notwendigen sprachlichen und fachlichen Kompetenzen erfolgreich zu erwerben, wenn Stoffvermittlung und Kompetenzerwerb im Rahmen eines sprachsensiblen und die Fachsprache entwickelnden Unterrichts stattfinden.“ – Den Imperativ in der kausalen Formulierung sehen wir durchaus. Im Sinne einer möglichst klaren und einheitlichen Form des LehrplanPLUS empfehlen wir jedoch bei allen Fachprofilen die erstgenannte Formulierung.
Im Blick auf den oben genannten Schülerkreis sehen wir die Notwendigkeit, insbesondere in der Wahlpflichtfächergruppe II Möglichkeiten für die Reduzierung der hohen Textlastigkeit der Prüfungen zu schaffen, damit Schüler daran nicht scheitern.
Zur Sicherung des Lernerfolgs fordern wir weiters, Deutsch als Zweitsprache alternativ zu Deutsch (als Muttersprache) in den LehrplanPLUS aufzunehmen. Hierdurch erhalten insbesondere Migrantenkinder die Möglichkeit, ihre dem Realschulniveau entsprechende andernorts begonnene Schullaufbahn bei uns fortzusetzen, ohne an den für sie anfangs hohen Anforderungen des Faches Deutsch zu scheitern. Eine Abschlussmöglichkeit in Deutsch als Zweitsprache wäre wünschenswert.

Wahlpflichtfächergruppen (WPFG)
Der LehrplanPLUS trifft nur wenige Zuordnungen konkreter Fächer / Fachinhalte zu den WPFG. Z. B. hätten wir erwartet, dass dem Schwerpunkt „interkulturelle und sprachliche Handlungsfähigkeit“ (WPFG IIIa) mindestens die Sprachen zugeordnet sind. Der LehrplanPLUS erwähnt eine explizite Zuordnung zu dieser Gruppe jedoch nur für Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen. Die Zuordnungen und Angebote scheinen daher in der Verantwortung der Schulen zu liegen. Für Eltern und Schüler wäre es wünschenswert, schon durch den LehrplanPLUS mehr Klarheit und Verbindlichkeit zu bekommen, ohne dass hierdurch die Flexibilität der Schulen bei der Gestaltung der Wahlpflichtfächerangebote eingeschränkt werden muss.
Es ist sinnvoll, einzelne Fächer im Sinne von disziplinärer Einordnung einzelnen bzw. mehreren Wahlpflichtfächergruppen zuzuordnen. Die zwingende Festlegung der Schüler auf eine Wahlpflichtfächergruppe läuft jedoch dem Ansatz, der Individualität der Schüler Rechnung zu tragen krass zuwider. Insbesondere hinsichtlich der beruflichen Orientierung wird hierdurch frühzeitig eine Einschränkung vorgenommen. Zudem verlangen die Anforderungen in vielen Berufen Kompetenzen in unterschiedlichsten Disziplinen. Wir empfehlen daher eindringlich, das System der frühzeitigen Festlegung auf bestimmte Schwerpunkte im Zuge der Umsetzung des LehrplanPLUS aufzugeben. Um dem individuellen Begabungsprofil eines jeden Schülers gerecht zu werden, muss Wahlfreiheit für einzelne Wahlpflichtfächer über die gesamte Schullaufbahn gewährt werden.

Berufliche Orientierung
Grundsätzlich positiv sehen wir Berufspraktika. Sie geben einen besonderen Motivationsschub, Orientierung und sind ein Ausgleich zum hohen Theorieanteil der Realschule besonders in der pubertären Phase. Der Philosoph Prenzel fordert ein ganzes Abenteuer-Jahr, wir fordern über das Fach Sozialwesen hinausgehende verbindliche Betriebspraktika in anderen Bereichen in der 8. und 9. Jahrgangsstufe und deren Einbezug in den LehrplanPLUS.

Flexible Realschule
Wir begrüßen, dass der LehrplanPLUS auf sechs Schuljahre angelegt ist. Trotzdem fordert der BEV eine flexible Realschule, in der jedem Kind individuell die Zeit gegeben wird, die es für die Erlangung der Mittleren Reife benötigt, also fünf, sechs, sieben oder acht Jahre. Vor allem in der Mittelstufe, bei Bedarf aber auch in der Unterstufe, müssen die Schüler entlastet werden können. Der LehrplanPLUS sollte diese Möglichkeiten von vornherein eröffnen.

Rahmenbedingungen für die Umsetzung
Für eine gelingende Umsetzung der hohen Ansprüche des LehrplanPLUS ist eine Anpassung der Rahmenbedingungen für das Unterrichten und das Lernen in Realschulen notwendig. Neben der besseren Ausstattung mit pädagogischem aber auch nicht-pädagogischem Personal und geeigneten Räumen und deren Einrichtung halten wir eine verbesserte Lehrerausbildung mit einem höheren pädagogischen Anteil für erforderlich. Außerdem muss eine entsprechende und verpflichtende Fortbildung der an Realschulen bereits tätigen Lehrpersonen sichergestellt werden, damit die Vorgaben des LehrplanPLUS von diesen tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden können. Das Arbeiten der Lehrpersonen im Team sollte hierbei stärker in den Vordergrund gestellt werden.

Wir sehen im Entwurf des LehrplanPLUS viele Ansätze, den bestehenden Problemen der Realschulen zu begegnen. Daher wünschen wir dem LehrplanPLUS viel Erfolg!

Mit freundlichen Grüßen
Martin Löwe, Landesvorsitzender